Mittwoch, 27. März 2013
Tag 4: 25.03.13
cyclopedo, 18:19h
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Tag 4: 25.03.2013
Meine Ursprungsroute sollte ja über Le Treport und Le Havre nach Caen führen. Ich hatte mich bereits in Calais entschieden, einen Teil der Strecke abzukürzen. Ich bin daher von Calais direkt in den Süden gefahren. Heute Morgen bin ich in Samer. Am heutigen Tag will ich es nach Rouen schaffen, und am nächsten Tag dann von Rouen nach Caen fahren. Ich lasse somit die Orte Le Treport und Le Havre aus. Die Kunst liegt bekanntlich am Weglassen.
Der Wecker klingelt relativ früh heute. Ich habe einiges an Kilometern gut zu machen. Es ist dazu hilfreich, früher aufzustehen.
Die Klamotten sind auch bereits trocken, da ich sie über Nacht auf der Heizung aufgehängt hatte. Gegen 7:30 Uhr klopft die Gastgeberin an der Tür und bringt mir ein tolles Frühstück. Sie hat es leicht eilig, da sie noch ihren Sohn zur Schule bringen möchte. Es ist heute Montag, und der Werktagstrott beginnt. Nur nicht für mich. Für mich geht es radelnd weiter wie in den letzten Tagen auch.
Ich komme gut voran. Die Strecke ist hügelig, doch es macht mir nichts. Die Straßen sind spürbar befahrener als die Tage zuvor. Man merkt, es ist Werktag.
Es überholen mich auch regelmäßig LKWs. Das macht mir schon lange nichts aus. Ich stelle dabei verstärkt fest, dass die französische Sprache stark von der Mimik abhängt. Ein Beispiel gefällig?
Ich mache einem LKW Platz. Er überholt mich. Der LKW-Fahrer hebt dankend die Hand und lächelt. Zum Dank hupt er kurz. Ich hebe den Arm und grüße lächelnd zurück. Das Entscheidende in dieser Szene ist das Lächeln beider Personen. Wir verstehen uns auch ohne Worte. Jetzt stelle man sich die gleiche Szene mit jeweils schlechtem Gesichtsausdruck vor, aber gleichen Gestiken. Dann kann man die gleiche Handbewegungen schon ganz anders interpretieren. Also Fall 2: Ein LKW-Fahrer überholt mich. Er hupt. Er hebt die Hand und die Augenbrauen zeigen tief nach innen heruntergezogen. Er flucht. Ich hebe den Arm, ebenfalls mit zusammengezogenen Augenbrauen, nach dem Motto „Du kannst mich mal“. Wir verstehen uns auch blind.
Zweimal die gleiche Situation, jeweils eine andere Kommunikation zwischen einander. Den Unterschied macht der Gesichtsausdruck.
Man braucht im Grunde gar kein Französisch sprechen. Mit entsprechend freundlichen Gesichtsausdruck und einem Lächeln auf den Lippen kommt man in der Verständigung bei Sprachbarrieren sehr weit. Ein Lächeln ist die beste internationale Sprache auf der Welt. Das wird überall verstanden. Diese Erfahrung mache ich auf meinen Radreisen immer wieder in den verschiedensten Ländern.
Gegen Mittag bekomme ich leicht Hunger und halte in einem kleinen Ort an einer Bäckerei an. Ich bestelle mir ein Sandwich. Ich setze innen am Fenstersims. Dabei kann ich die vielen Leute, die beim Bäcker ein- und ausgehen beobachten. Das ist richtig interessant. Es kommen so viele verschiedene Leute vorbei. Da kommt ein älterer Herr herein, vom Alter etwa 70 Jahre. Er ist mit einem Rennrad hergefahren. Alle Achtung! Er ist eingepackt in einem quietsche gelben Regenponjo. Er trägt Stiefel wie bei einer Wattwanderung und dicke grüne Wollsocken, die bis fast ans Knie reichen. Es ist einfach nur ein Vergnügen diesem Mann bei jeder seiner Bewegungen zuzuschauen. Als er die Bäckerei verlässt, bietet sich vor meinen Augen beim Blick aus dem Schaufenster eine kleine Komödie. Er will gerade losfahren, da entdeckt er mein Rad. Er stellt sein Rennrad ab, und fängt an mein Rad aus nächster Nähe zu begutachten. Er geht von vorne bis hinten, die Nase immer etwa 30 cm vom Rad entfernt. Nun schaut sich auch der Bäcker das Spektakel an. Der Alte prüft mit seinen Augen jeden kleinen Winkel meines Rades. Als ob er solch ein Rad noch nie gesehen habe. Er tänzelt richtig um das Rad herum. Es sieht aus wie eine ganz eigene Performance. Der Bäcker und ich fangen richtig an zu lachen. Der Alte bemerkt unser Beobachten nicht, und beginnt mein Rad anzufassen. Er prüft die Bremsen, die Reifen, den Rahmen. Er klopft auf den Rahmen. Er hebt das Rad hoch. Sein Kopf ist nur noch am Nicken. Der Bäcker und ich kommen aus dem Lachen nicht mehr heraus. Der Alte ist so fasziniert von dem Rad, dass er mit gebanntem Blick beginnt sich zu Fuß langsam wegzubewegen, immer den Kopf nickend. Dann fällt ihm ein wie aus dem Blitz getroffen, dass er selbst ja nicht zu Fuß da ist, sondern selbst mit seinem Rad. Er springt rasch zu seinem Rad und entfernt sich mit diesem sichtbar demütig.
Der Bäcker und ich haben reichlich unseren Spaß an der Szene gehabt. Spontan gibt er mir einen Café au lait aus.
Ich fahre weiter und muss noch eine ganze Weile über die eben erlebte Szene lächeln. Es ist auch das erste Mal die Sonne herausgekommen. Die Temperatur geht spürbar nach oben. Ich kann eine ganze Weile ohne Kopfbedeckung, ohne Schal und ohne Handschuhe fahren. Ach, wie ist das toll. Ich sonne mein Gesicht. Wie habe ich die Sonnenstrahlen vermisst. Es fährt sich so sehr viel leichter.
Ich komme gut voran, trotz der vielen kleineren Hügel auf der Strecke. Doch gegen 14:30 Uhr auf halber Tagesstrecke meldet sich mein Magen urplötzlich sehr unangenehm. Er zieht sich richtig zusammen und verkrampft. Mir wird in dem Moment bewusst, dass ich eigentlich schon seit Tagen seit Rotterdam nichts Warmes mehr gegessen habe. Das rächt sich nun. Der Magen schlägt Alarm und will unbedingt was Warmes haben. Ich halte im nächsten Ort, in Blangy-sur-Bresle an, und suche nach einer Bar oder einem Restaurant. Doch alles hat geschlossen. Um die Mittagszeit macht ganz Frankreich wohl Siesta. Alles ist geschlossen, auch an einem Werktag. Unglaublich. Ich finde überhaupt keine Möglichkeit etwa Warmes zu essen. Auch wenn die Beine noch könnten, der Magen lässt ein Weiterfahren nicht mehr zu. Das ist echt unschön, da ich noch ganze 75 km vor mir habe bis Rouen, und von der verbleibenden Zeit könnte ich es sicher noch schaffen, auch wenn die verbleibende Strecke sehr hügelig wäre. Doch es geht wirklich nichts mehr. Ich höre auf meinen Körper und breche für heute die Tagesetappe ab.
Was mache ich denn nun? Ich könnte mit dem Zug nach Rouen fahren und dort übernachten. Ich fahre in den Ortskern und stelle erst einmal freudig fest, dass durch den Ort überhaupt ein Zug fährt. Beim Blick auf den Fahrplan merke ich, dass der Zug Richtung Paris fährt. Ganz die falsche Richtung. Nach Süden gibt es keine Zuglinie. Was könnte mir noch weiterhelfen? Vielleicht ein Bus? Ich von Weitem einen Bus auf einem Platz stehen. Ich rolle hin frage den Busfahrer ob er nach Rouen fährt. Er verneint. Er kenne auch keinen anderen Bus, der am heutigen Tag noch dorthin fahren würde. Hmm, das macht die Situation nicht einfacher. Ich bedanke mich und rolle planlos durch den Ortskern. Da sehe ich das Schild des Tourismusbüros. Ich fahre dorthin. Auch hier herrscht gerade Mittagspause. Doch die zwei anwesenden Damen wollen mir dennoch helfen. Ich erkläre ihnen meine Situation. Ich frage, ob von Blangy ein Bus nach Rouen fahren würde. Nach etwas längerem Kramen in diversen Unterlagen sagen sie mir, dass eine Buslinie in die Richtung fahre, aber nicht mehr heute. Morgen früh würde ein Bus fahren bis nach Neufchatel, etwa 25 km weit. Dort müsste ich umsteigen in einen anderen Bus, der bis nach Rouen fährt. Na, immerhin, klingt doch gut. Ich frage, ob ich mein rad im Bus mitnehmen kann. Sie telefonieren mit dem Busunternehmen. Die erfreuliche Antwort: ja. Cool. Das kenne ic auch schon aus Spanien. Die überregionalen Busse nehmen unterschiedlichstes Gepäck mit, auch Fahrräder. Dieses wird im Gepäckabteil abgelegt. Das schätze ich an den Busfahrten in den Ländern außerhalb Deutschlands. Dort ist ein Transport von Fahrrädern in Bussen völlig normal. Nur in Deutschland ist das total unüblich. Erst jetzt öffnet sich Deutschland überhaupt in Sachen Fernbussen. Das ist allerhöchste Zeit, dass Fernbusse dem Schienenverkehr eine gesunde Konkurrenz darstellen. In vielen Ländern seit Langem eine Selbstverständlichkeit.
Ich brauche jetzt noch eine Übernachtung in Blangy. Ich werde auf das einzige Hotel im Ort verwiesen, dass ganze drei Zimmer hat. Ich fahre da kurz hin und frage, ob noch ein Zimmer frei sei. Alle Zimmer sind belegt. Kein Wunder, wenn man nur drei Zimmer anbietet. In Blangy kann ich also nicht übernachten. Wieder im Tourismusbüro frage ich nach einer alternativen Übernachtung in der Nähe. Die Damen meinen, das sei zu dieser Jahreszeit hier recht schwierig, da nicht gerade Tourismus-Saison sei. Viele Übernachtungsmöglichkeiten sind geschlossen oder im Urlaub. Dann fällt der einen Dame ein, dass im Nachbarort Bottencourt ein Campingplatz sei. Camping? Ist es nicht zu kalt dafür? Dort gäbe es auch Zimmer. Sie geben mir eine Broschüre des Campingplatzes und beschreiben mir wie ich dahin komme. Für die Busroute geben sie mir auch noch alle Informationen mit. Ich bedanke mich recht herzlich für die freundliche Hilfestellung.
Der Campingplatz ähnelt von außen einem Schloss. Zunächst zweifele ich daran, dass man in dieser luxuriösen Anlage wirklich campen bzw. ein nettes Zimmer bekommen kann. Doch ich erhalte wirklich ein Zimmer. Ich bin richtig froh.
Nach der Dusche lege ich mich früh ins Bett und lege mich früh schlafen. Ich brauche das irgendwie. Ich merke, dass auch meine Stirn eine leicht erhöhte Temperatur zeigt. Ich brauche einfach Ruhe. Für Morgen habe ich den Wecker früh gestellt, um den Bus rechtzeitig zu erreichen. Ich schlafe warm eingepackt ein.
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