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Mittwoch, 27. März 2013
Tag 5: 26.03.13: Rouen – Caen: Frühlingsanfang!
cyclopedo, 20:14h
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Tag 5: 26.03.13: Rouen – Caen: Frühlingsanfang!
Auch an diesem Tag wache ich zeitig auf. Ich muss ja den Bus nach Rouen erwischen. Ich packe rasch meine Sachen. Die Klamotten sind wieder trocken, da sie zum Trocknen auf der Heizung die Nacht verbrachten. Also, das mit dem Klamotten waschen und trocknen innerhalb einer Nacht habe ich mittlerweile gut drauf. Doch die Handwäsche abends nach einer längeren Tagestour ist und bleibt einfach ätzend.
Heute trage ich eine Kleiderschicht weniger. Der gestrige Tag hatte bereits mit der herausgekommenen Sonne angedeutet, dass der Frühling langsam an Kraft gewinnt. Der Morgen wirkt auch bereits milder als die Tage zuvor.
Ich fahre früh vom Campingplatz heraus wieder zurück nach Blangy-sur-Bresle. Die beiden Orte liegen unmittelbar nebeneinander, Haus an Haus, nahtloser Übergang. Doch jeder Ort liegt in einer anderen Region. In Bouttencourt bin ich noch im Departement Somme in der Region Picardie. Blangy-sur-Bresle gehört bereits zum Departement Seine-Maritime in der Region Haute-Normandie. Ohne es groß bemerkt zu haben, bin ich schlagartig in der Normandie.
An einem größeren Platz sehe ich eine junge Frau an einer Bushaltestelle. Ich frage sie, ob das der „Place de Thebault“ ist, von wo der Bus Richtung Rouen fährt. Sie bestätigt dies und meint, dass sie selbst in dem selben Bus fahren würde. Der Bus ist in wenigen Minuten da. Es geht zunächst ins 25 km entfernte Neufchatel.
Das Fahrrad verstaue ich im Gepäckraum. Es passt problemlos herein. Der ganze Bus ist voller Schüler. Keine Frage, ein Schulbus. Wieso nicht? Ich setze mich neben die junge Dame. Wir kommen ins Gespräch.
Sie stellt mir die üblichen Fragen. Sie selbst ist noch Schülerin im Abschlussjahrgang. Sie geht zur Schule in Neufchatel. Ich erzähle ihr wo ich mit dem Fahrrad überall war in den letzten Tagen, und wo es weiter hingehen wird. Sie ist sichtbar beeindruckt, dass ich scheinbar bereits mehr aus ihrer Heimatregion gesehen habe als sie selbst. Sie ist noch nicht groß herausgekommen von daheim. Meine Geschichten scheinen ihr jedoch zu gefallen.
Sie erzählt mir, dass Rouen vor allem für Jean d'Arc bekannt ist, eine der wichtigsten Figuren der Französischen Revolution. Damals hielten die Leute die Johanna von Orleans, wie sie im Deutschen genannt wird, für eine Hexe. In Rouen wurde sie hierfür lebendig verbrannt. Heute ist dieser große Platz nach ihr benannt. Ich bin richtig überrascht, wo Jean d'Arc überall ihre Spuren in Frankreich hinterlassen hatte. Vor zwei Jahren bin ich in Südfrankreich geradelt. Da kam ich auch durch Avignon. In Avignon wird sie als Nationalheldin verehrt. Ich erfuhr damals, dass sie aus Avignon stammt. Der deutschen Namensgebung nach hatte sie ja auch Spuren in Orleans hinterlassen. Ich bin auf den Spuren der Französischen Revolution.
In Neufchatel wechsele ich den Bus. Freundlicherweise weist mich der Busfahrer zum richtigen Bus. Ich bemerke, dass die Leute insgesamt sehr hilfsbereit sind. In ihren kurzen Gesprächen fällt immer das Wort „velo“. Die Busfahrer sind so zuvorkommend, dass ich für die Busfahrten gar nichts bezahlen muss. Wie klasse ist das denn. So etwas habe ich noch nie erlebt.
In Rouen steige ich mitten im Zentrum aus. Beim Aufbauen des Rades merke ich, dass der Gepäckträger richtig wackelt. Ich schaue nach und sehe, dass alle Schrauben am Gepäckträger sehr locker sind. Ich hole mein Werkzeug heraus und ziehe alle Schrauben nach. So geht’s wieder. Übrigens fahre ich immer noch mit defektem Gepäckträger. Ein Stück vom Rahmen ist vor ein paar Tagen abgebrochen. Eine Schraube hatte ich verloren. Ich habe aber nach wie vor noch keinen Fahrradladen gefunden. Doch ich denke, ich kann meine Reise auch so fortsetzen. Mit den angezogenen Schrauben wirkst alles sehr stabil.
Kathedrale in Rouen
Ich fahre zuerst zur großen Kathedrale der Stadt. Sie ist im gothischen Stil errichtet. Sehr imposant. In der Nähe finde ich auch gleich den Platz, auf dem Jean d'Arc verbrannt wurde. Es ist ein merkwürdiges Gefühl hier zu stehen und an dieses Verbrechen zu denken. Irgendwie beklemmend. Ich mache auch keine Fotos von dem Platz und fahre weiter. Ich begebe mich erst einmal in ein kleines Café und trinke einen Schwarztee. Den brauche ich jetzt, bevor es richtig losgeht.
Häuserfassade in der Normandie
Ich mache noch ein paar Bilder von der Stadt. Rouen liegt an der Seine, dem selben Fluss wie auch Paris. Die Seine werde ich an diesem Tag noch einige Male treffen.
Gegen kurz vor 10 Uhr starte ich gemütlich meine Fahrt. Heutiges Ziel ist Caen, der Hauptstadt der Region Baisse-Normandie. Die Routenprofil zeigt einige Höhenmeter. Das merke ich schon relativ früh. Als ich die Stadt verlasse, geht es steil bergauf. Oben am ersten Aufstieg angekommen – ich bin immer noch nicht ganz fit – setze ich mich wieder in eine kleine Bar. Ich bestelle mir ein belgisches Bier, ein Leffe. Das schmeckt richtig gut. In Belgien hatte ich bereits ein dunkles Leffe getrunken. Das Dunkle ist ganz besonders lecker. Hier bekomme ich ein Helles. Am frühen Morgen bereits ein Bier. Gar nicht gut. Aber mir geht’s danach besser. Ich bin hellwach. Es kann nun richtig losgehen.
Es geht hinaus den Städten, hinein in den Wald. Das ist einmal eine tolle Abwechslung. Ich fahre mehrere Kilometer durch Waldgebiet. Ich atme die frische morgendliche Waldluft ein. Ein tolles Gefühl. Sehr angenehm.
Fahrt durch den Wald
Es geht wieder bergab herunter zur Seine. Hier erkenne ich nicht sofort, dass ich den Fluss per Fähre überqueren muss. Daher radele ich erst einmal eine Weile m Seineufer entlang. Der Weg ist hier zwar unbefestigt, aber die Ruhe n der Seine und ihre Ausstrahlung tun richtig gut. Auf diesem Abschnitt habe ich das Gefühl, dass ich am Rhein entlang fahre in der Nähe der Loreley. Eine faszinierende Atmosphäre.
Die Seine
Irgendwann schaue ich auch auf mein Handy und erkenne, dass ich ja falsch bin. Ich müsste über die Seine auf die andere Seite. Bloß weit und breit keine einzige Brücke. Also fahre ich zurück. Ich nehme die Flussfähre.
Ab hier haben die nächsten Kilometer es so richtig in sich. Es geht extrem steil bergauf. Ich komme mit dem Rad nicht nach oben. Ich muss absteigen und schieben. Das geht eine ganze Weile so. Oben auf dem Plateu erhalte ich einen wunderschönen Ausblick auf die Seine-Ebene. Richtig malerisch. Es geht wieder auf eine Landstarße, wo es wieder halbwegs eben ist. Ich komme wieder gut voran.
Ih hab mir für heute vorgenommen, es etwas gemütlicher anzugehen. Ich habe „nur“ ca. 125 km vor mir. Das ist vergleichsweise wenig. Durch die anfänglichen Anstiege merke ich jedoch, dass ich dennoch keine Zeit groß verplempern sollte.
Alle bisherigen Tage bin ich ohne Musik gefahren. Das alles, um meinen Handy-Akku zu schonen. Übers Handy läuft ja fast alles: die Navigation, die Mails, SMS und auch Musik. Schon nur der Navigationsmodus frisst soviel Akkuleistung, dass ich mehrmals am den Handy-Akku teilweise aufladen muss. Die Navigation ist das Wichtigste für mich. Wenn diese ausfällt, dann weiß ich erst einmal nicht weiter wohin. Doch mittlerweile brauche ich beim Radfahren auch etwas Musik. Ich ignoriere den höheren Akkuverbrauch und höre nun auch Musik beim Fahren. Oh man, tut das gut. Im Rhythmus der Musik zu treten macht um ein vielfaches mehr Spaß. Und es motiviert! Mein Lieblingssong bei dieser Tour ist eindeutig „Hall of Fame“ von „The Script“. Er passt richtig gut zu der gesamten Reise bisher.
Es geht über Stock und Stein. Ich passiere mehrere Wälder, einsame verlassene Feldwege, Wanderwege und verlassene kleine Örtchen. Auch mal schön, diese kleinen Orte mal zu sehen. Doch die vielen Hügel lassen mich nicht so gut vorankommen. Zudem ist wie erwartet der Akku nun schneller fast am Ende. Ich muss wieder eine Bar aufsuchen, in der ich das Handy aufladen kann. Zudem habe ich wieder Hunger bekommen nach was Warmem.
Ich kehre ein in Beuzeville. Es ist ja mal wieder klar, alle Läden haben zu. Ganz Frankreich macht mal wieder Siesta. Ganz Frankreich? Nein. Da gibt es eine kleine rebellische Bar, die sich den üblichen Gewohnheiten widersetzt. Sie heißt Cohi-Bar. Der Name gefällt mir. Ich kehre ein. Ich esse eine Kleinigkeit, trinke einen Tee und lade alle meine Akkus auf (Handy, Laptop, und meinen eigenen). Es gibt auch WLAN. Klasse. Ich shaue gleich hier auf dem Blog nach und sehe, dass es einige neu Gäste-Kommentare gibt. Ich lese von aufbauenden Worten. Diese Worte zu lesen tut echt gut. Ich bin zwar alleine unterwegs, doch diese Worte zeigen, dass in Gedanken mehrere Leute mit mir mitreisen. Das baut mich richtig auf.
Ich checke meine E-Mails. In Caen übernachte ich heute Abend bei einer privaten Person daheim. Sie hat mir gemailt und fragt an wann ich heute ankommen würde. Es ist französisch geschrieben, und ich kann es nicht verstehen. Ich bitte die Bedienung es für mich zu übersetzen. Nach Caen habe ich noch 65 km. Ich schaue auf die Uhr und das anstehende Höhenprofil und schätze, dass ich noch etwa 3-4 Stunden brauchen werden. Ich bitte die Bedienung für mich eine Antwort-Mail auf französisch zu schreiben.
Ich bin jetzt richtig gut drauf, und wieder voller Kräfte. Es geht mit gutem Tempo voran.
Heute ist insgesamt ein recht milder Tag. Die Sonne hat fast den ganzen Tag geschienen. Es ist der erste richtige Frühlingstag. Die Fahrt ist jetzt so schön. Ich fahre ohne Mütze, Kaputze, Schal und Handschuhe. Meine Haut spürt den Frühling in der Luft. Es zwitschern die Vögel. Sie Sonne wärmt mein Gesicht. Hach, ist das toll.
Sonnenschein!
Den nächsten größeren Anstieg schaffe ich mit einer Leichtigkeit, da ich dabei an die netten Worte aus dem Blog-Kommentaren denke. Oben angekommen wundere ich mich selbst wie schnell ich diesen Anstieg geschafft habe. Ich gebe Gas. Sonia, meine Gastgeberin wartet auf meine Ankunft.
Sumpfgebiet auf dem Weg nach Caen
Kurz bevor die Dämmerung einsetzt sehe ich zum ersten Mal einen Kebab-Laden, der offen hat. Warmes Essen! Geil! Ich pfeife drauf, dass es Fast Food ist. Hauptsache warm. Der Kebabbuden-Inhaber ist sehr zuvorkommend. Er merkt, dass ich kein Franzose bin und fragt mich woher ich sei. Ich sage ihm, dass ich eine Reise von den Niederlanden in Rotterdam nch Bordeaux mache, mit dem Fahrrad. „En velo?“ fragt er verwundert. Ich nicke. Er weiter: „No! En velo??“. Er starrt aus dem Fenster auf mein Rad. Er schaut mich kurz an und sagt: „Are you...?“ und zeigt mir den Vogel. Ich muss voll lachen. Den Vogel hat mir noch niemand gezeigt. Der Mann ist cool. Der gefällt mir. Ich sage: „I love cycling.“ Er: „En velo...“, und schüttelt den Kopf.
Er fängt an richtig herzlich zu lachen. Er macht Musik an, arabische Musik. Die ist richtig gut! Er dreht die Heizung auf, und er beginnt laut die Musik nachzusingen und pfeift fröhlich daher. Immer wieder sagt er vor sich hin: „En velo...“ und schüttelt den Kopf und pfeift fröhlich vor sich her. Hey, Mann, ist der cool drauf.
Es ist immer verblüffend wie ähnlich die Leute immer reagieren. Zuerst sind sie erstaunt über meine langen Radtouren. Dann werde ich für verrückt gehalten. Und unmittelbar darauf habe ich neue Fans :-)
Ich radele weiter. Es ist dunkel geworden. Ich schalte mein Rücklicht ein. Es sind noch knappe 20 km. Die will ich ich in einer knappen Stunde oder weniger zurücklegen. Ich gebe Gas.
Keltische Kirche
Ich erreiche Caen in 45 Minuten. Sonias Wohnung finde ich dank der Fahrradnavigation leicht und schnell. Sie erwartet mich bereits.
Sonia nimmt mich herzlich auf. Ihre Wohnung ist klein, aber fein. Sie ist sehr mysteriös eingerichtet, viel mit buddhistischen Symbolen.
Sonia spricht nur wenig englisch. Sie gibt sich Mühe. Sie muss oft im Wörterbuch nachschlagen.
Beim Abendessen erzählt sie ein wenig von sich. Sie sagt: „I am a bitch“. (bitch = Schlampe) Wie bitte? Habe ich das jetzt richtig gehört? Sie hat sicherlich was anderes gemeint. Ich frage nochmals nach. Sie wiederholt: „I am a bitch“. Ich muss mir das Lachen verkneifen. Ich frage: „Are you sure?“. Sie schaut im Wörterbuch nach und korrigiert sich: „Oh no, witch, I am a witch!“ (witch = Hexe). Ich muss noch mehr meinen Lachreflex unterdrücken. Versteht sie eigentlich, was sie da gerade von sich gibt? Sie lächelt und freut sich, und singt fröhlich: „I am a witch, I am a witch, lalala“. Oh Mann, ist die schräg drauf.
Ich erzähle ihr, dass ich heute aus Rouen hergeradelt bin. Ich frage sie, ob sie Jean d'Arc kenne. Natürlich. Ich sage ihr, dass die Leute damals dachten sie sei eine Hexe gewesen, und man habe sie in Rouen deswegen damals lebendig verbrannt. Sie macht riesige Augen. Ihr wird bewusst was sie gerade vorhin von sich gegeben hat. Sie holt schnell wieder das Wörterbuch hervor und sagt darauf: „No, no, I am a fairy!“ (fairy = Fee) „I am a good witch, a fairy.“
Meine abgespacete kleine Feen-Hexe. :-)
Es wird noch ein angenehmer gesprächiger Abend.
Am morgigen Tag wäre mein Plan an die Strände der Normandie zu radeln bis hin nach Cherbourg. Doch ich hatte heute bei der Ankunft in Caen bemerkt, dass meine Knie sich langsam schmerzhaft gemeldet haben. Das kenne ich. Das ist ein Zeichen, das der Körper dringend eine Pause braucht. Es wäre fatal morgen gegen den Schmerz weiterzufahren. Ich beschließe meinen Ruhetag auf morgen vorzuziehen. Das heißt, ich verbringe den morgigen Tag in Caen. Das wird sicher auch schön werden.
Ich nehme noch ein Bad (oh Mann, tut das gut!!), und lege mich dann schlafen. Es war ein schöner Tag.
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Tag 4: 25.03.13
cyclopedo, 18:19h
(Vergrößern durch Klick auf das Fahrradsymbol)
Tag 4: 25.03.2013
Meine Ursprungsroute sollte ja über Le Treport und Le Havre nach Caen führen. Ich hatte mich bereits in Calais entschieden, einen Teil der Strecke abzukürzen. Ich bin daher von Calais direkt in den Süden gefahren. Heute Morgen bin ich in Samer. Am heutigen Tag will ich es nach Rouen schaffen, und am nächsten Tag dann von Rouen nach Caen fahren. Ich lasse somit die Orte Le Treport und Le Havre aus. Die Kunst liegt bekanntlich am Weglassen.
Der Wecker klingelt relativ früh heute. Ich habe einiges an Kilometern gut zu machen. Es ist dazu hilfreich, früher aufzustehen.
Die Klamotten sind auch bereits trocken, da ich sie über Nacht auf der Heizung aufgehängt hatte. Gegen 7:30 Uhr klopft die Gastgeberin an der Tür und bringt mir ein tolles Frühstück. Sie hat es leicht eilig, da sie noch ihren Sohn zur Schule bringen möchte. Es ist heute Montag, und der Werktagstrott beginnt. Nur nicht für mich. Für mich geht es radelnd weiter wie in den letzten Tagen auch.
Ich komme gut voran. Die Strecke ist hügelig, doch es macht mir nichts. Die Straßen sind spürbar befahrener als die Tage zuvor. Man merkt, es ist Werktag.
Es überholen mich auch regelmäßig LKWs. Das macht mir schon lange nichts aus. Ich stelle dabei verstärkt fest, dass die französische Sprache stark von der Mimik abhängt. Ein Beispiel gefällig?
Ich mache einem LKW Platz. Er überholt mich. Der LKW-Fahrer hebt dankend die Hand und lächelt. Zum Dank hupt er kurz. Ich hebe den Arm und grüße lächelnd zurück. Das Entscheidende in dieser Szene ist das Lächeln beider Personen. Wir verstehen uns auch ohne Worte. Jetzt stelle man sich die gleiche Szene mit jeweils schlechtem Gesichtsausdruck vor, aber gleichen Gestiken. Dann kann man die gleiche Handbewegungen schon ganz anders interpretieren. Also Fall 2: Ein LKW-Fahrer überholt mich. Er hupt. Er hebt die Hand und die Augenbrauen zeigen tief nach innen heruntergezogen. Er flucht. Ich hebe den Arm, ebenfalls mit zusammengezogenen Augenbrauen, nach dem Motto „Du kannst mich mal“. Wir verstehen uns auch blind.
Zweimal die gleiche Situation, jeweils eine andere Kommunikation zwischen einander. Den Unterschied macht der Gesichtsausdruck.
Man braucht im Grunde gar kein Französisch sprechen. Mit entsprechend freundlichen Gesichtsausdruck und einem Lächeln auf den Lippen kommt man in der Verständigung bei Sprachbarrieren sehr weit. Ein Lächeln ist die beste internationale Sprache auf der Welt. Das wird überall verstanden. Diese Erfahrung mache ich auf meinen Radreisen immer wieder in den verschiedensten Ländern.
Gegen Mittag bekomme ich leicht Hunger und halte in einem kleinen Ort an einer Bäckerei an. Ich bestelle mir ein Sandwich. Ich setze innen am Fenstersims. Dabei kann ich die vielen Leute, die beim Bäcker ein- und ausgehen beobachten. Das ist richtig interessant. Es kommen so viele verschiedene Leute vorbei. Da kommt ein älterer Herr herein, vom Alter etwa 70 Jahre. Er ist mit einem Rennrad hergefahren. Alle Achtung! Er ist eingepackt in einem quietsche gelben Regenponjo. Er trägt Stiefel wie bei einer Wattwanderung und dicke grüne Wollsocken, die bis fast ans Knie reichen. Es ist einfach nur ein Vergnügen diesem Mann bei jeder seiner Bewegungen zuzuschauen. Als er die Bäckerei verlässt, bietet sich vor meinen Augen beim Blick aus dem Schaufenster eine kleine Komödie. Er will gerade losfahren, da entdeckt er mein Rad. Er stellt sein Rennrad ab, und fängt an mein Rad aus nächster Nähe zu begutachten. Er geht von vorne bis hinten, die Nase immer etwa 30 cm vom Rad entfernt. Nun schaut sich auch der Bäcker das Spektakel an. Der Alte prüft mit seinen Augen jeden kleinen Winkel meines Rades. Als ob er solch ein Rad noch nie gesehen habe. Er tänzelt richtig um das Rad herum. Es sieht aus wie eine ganz eigene Performance. Der Bäcker und ich fangen richtig an zu lachen. Der Alte bemerkt unser Beobachten nicht, und beginnt mein Rad anzufassen. Er prüft die Bremsen, die Reifen, den Rahmen. Er klopft auf den Rahmen. Er hebt das Rad hoch. Sein Kopf ist nur noch am Nicken. Der Bäcker und ich kommen aus dem Lachen nicht mehr heraus. Der Alte ist so fasziniert von dem Rad, dass er mit gebanntem Blick beginnt sich zu Fuß langsam wegzubewegen, immer den Kopf nickend. Dann fällt ihm ein wie aus dem Blitz getroffen, dass er selbst ja nicht zu Fuß da ist, sondern selbst mit seinem Rad. Er springt rasch zu seinem Rad und entfernt sich mit diesem sichtbar demütig.
Der Bäcker und ich haben reichlich unseren Spaß an der Szene gehabt. Spontan gibt er mir einen Café au lait aus.
Ich fahre weiter und muss noch eine ganze Weile über die eben erlebte Szene lächeln. Es ist auch das erste Mal die Sonne herausgekommen. Die Temperatur geht spürbar nach oben. Ich kann eine ganze Weile ohne Kopfbedeckung, ohne Schal und ohne Handschuhe fahren. Ach, wie ist das toll. Ich sonne mein Gesicht. Wie habe ich die Sonnenstrahlen vermisst. Es fährt sich so sehr viel leichter.
Ich komme gut voran, trotz der vielen kleineren Hügel auf der Strecke. Doch gegen 14:30 Uhr auf halber Tagesstrecke meldet sich mein Magen urplötzlich sehr unangenehm. Er zieht sich richtig zusammen und verkrampft. Mir wird in dem Moment bewusst, dass ich eigentlich schon seit Tagen seit Rotterdam nichts Warmes mehr gegessen habe. Das rächt sich nun. Der Magen schlägt Alarm und will unbedingt was Warmes haben. Ich halte im nächsten Ort, in Blangy-sur-Bresle an, und suche nach einer Bar oder einem Restaurant. Doch alles hat geschlossen. Um die Mittagszeit macht ganz Frankreich wohl Siesta. Alles ist geschlossen, auch an einem Werktag. Unglaublich. Ich finde überhaupt keine Möglichkeit etwa Warmes zu essen. Auch wenn die Beine noch könnten, der Magen lässt ein Weiterfahren nicht mehr zu. Das ist echt unschön, da ich noch ganze 75 km vor mir habe bis Rouen, und von der verbleibenden Zeit könnte ich es sicher noch schaffen, auch wenn die verbleibende Strecke sehr hügelig wäre. Doch es geht wirklich nichts mehr. Ich höre auf meinen Körper und breche für heute die Tagesetappe ab.
Was mache ich denn nun? Ich könnte mit dem Zug nach Rouen fahren und dort übernachten. Ich fahre in den Ortskern und stelle erst einmal freudig fest, dass durch den Ort überhaupt ein Zug fährt. Beim Blick auf den Fahrplan merke ich, dass der Zug Richtung Paris fährt. Ganz die falsche Richtung. Nach Süden gibt es keine Zuglinie. Was könnte mir noch weiterhelfen? Vielleicht ein Bus? Ich von Weitem einen Bus auf einem Platz stehen. Ich rolle hin frage den Busfahrer ob er nach Rouen fährt. Er verneint. Er kenne auch keinen anderen Bus, der am heutigen Tag noch dorthin fahren würde. Hmm, das macht die Situation nicht einfacher. Ich bedanke mich und rolle planlos durch den Ortskern. Da sehe ich das Schild des Tourismusbüros. Ich fahre dorthin. Auch hier herrscht gerade Mittagspause. Doch die zwei anwesenden Damen wollen mir dennoch helfen. Ich erkläre ihnen meine Situation. Ich frage, ob von Blangy ein Bus nach Rouen fahren würde. Nach etwas längerem Kramen in diversen Unterlagen sagen sie mir, dass eine Buslinie in die Richtung fahre, aber nicht mehr heute. Morgen früh würde ein Bus fahren bis nach Neufchatel, etwa 25 km weit. Dort müsste ich umsteigen in einen anderen Bus, der bis nach Rouen fährt. Na, immerhin, klingt doch gut. Ich frage, ob ich mein rad im Bus mitnehmen kann. Sie telefonieren mit dem Busunternehmen. Die erfreuliche Antwort: ja. Cool. Das kenne ic auch schon aus Spanien. Die überregionalen Busse nehmen unterschiedlichstes Gepäck mit, auch Fahrräder. Dieses wird im Gepäckabteil abgelegt. Das schätze ich an den Busfahrten in den Ländern außerhalb Deutschlands. Dort ist ein Transport von Fahrrädern in Bussen völlig normal. Nur in Deutschland ist das total unüblich. Erst jetzt öffnet sich Deutschland überhaupt in Sachen Fernbussen. Das ist allerhöchste Zeit, dass Fernbusse dem Schienenverkehr eine gesunde Konkurrenz darstellen. In vielen Ländern seit Langem eine Selbstverständlichkeit.
Ich brauche jetzt noch eine Übernachtung in Blangy. Ich werde auf das einzige Hotel im Ort verwiesen, dass ganze drei Zimmer hat. Ich fahre da kurz hin und frage, ob noch ein Zimmer frei sei. Alle Zimmer sind belegt. Kein Wunder, wenn man nur drei Zimmer anbietet. In Blangy kann ich also nicht übernachten. Wieder im Tourismusbüro frage ich nach einer alternativen Übernachtung in der Nähe. Die Damen meinen, das sei zu dieser Jahreszeit hier recht schwierig, da nicht gerade Tourismus-Saison sei. Viele Übernachtungsmöglichkeiten sind geschlossen oder im Urlaub. Dann fällt der einen Dame ein, dass im Nachbarort Bottencourt ein Campingplatz sei. Camping? Ist es nicht zu kalt dafür? Dort gäbe es auch Zimmer. Sie geben mir eine Broschüre des Campingplatzes und beschreiben mir wie ich dahin komme. Für die Busroute geben sie mir auch noch alle Informationen mit. Ich bedanke mich recht herzlich für die freundliche Hilfestellung.
Der Campingplatz ähnelt von außen einem Schloss. Zunächst zweifele ich daran, dass man in dieser luxuriösen Anlage wirklich campen bzw. ein nettes Zimmer bekommen kann. Doch ich erhalte wirklich ein Zimmer. Ich bin richtig froh.
Nach der Dusche lege ich mich früh ins Bett und lege mich früh schlafen. Ich brauche das irgendwie. Ich merke, dass auch meine Stirn eine leicht erhöhte Temperatur zeigt. Ich brauche einfach Ruhe. Für Morgen habe ich den Wecker früh gestellt, um den Bus rechtzeitig zu erreichen. Ich schlafe warm eingepackt ein.
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Aufruf zu Musiktipps
cyclopedo, 01:16h
Ich fahre ja sehr viele Stunden mit dem Rad taeglich. Dabei hoere ich teilweise auch Musik ueber mein IPhone. Meine Lieder da drauf habe ich jedoch so was von oft gehoert mittlerweile. Sie sind bereits richtig ausgelutscht.
Musik ist bei meiner Reise ein wichtiger Motivationsfaktor. Da faehrt sich auch die unangenehmste und haerteste Strecke sehr viel leichter.
Ich moechte hier nun einen Aufruf starten, mir hier Musiktipps (Interpret und Titel) zusammenzuschreiben. Ich brauche zur Abwechslung neue Lieder und neue Klaenge.
Es koennen alle moeglichen Songs sein, neue oder aeltere, das ist egal. Am Besten motivierende, positive Songs. Gerne duerfen es aber auch ruhige Songs sein. Beides gefaellt mir sehr.
Schreibt einfach hier in diesen Beitrag als Kommentare Eure Vorschlaege. Ich freue mich jetzt schon, welche Titel ihr mir so nennen werdet.
Viele Gruesse,
Alexander.
Musik ist bei meiner Reise ein wichtiger Motivationsfaktor. Da faehrt sich auch die unangenehmste und haerteste Strecke sehr viel leichter.
Ich moechte hier nun einen Aufruf starten, mir hier Musiktipps (Interpret und Titel) zusammenzuschreiben. Ich brauche zur Abwechslung neue Lieder und neue Klaenge.
Es koennen alle moeglichen Songs sein, neue oder aeltere, das ist egal. Am Besten motivierende, positive Songs. Gerne duerfen es aber auch ruhige Songs sein. Beides gefaellt mir sehr.
Schreibt einfach hier in diesen Beitrag als Kommentare Eure Vorschlaege. Ich freue mich jetzt schon, welche Titel ihr mir so nennen werdet.
Viele Gruesse,
Alexander.
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